01. Dezember 2014

„Für uns ist diese Schule das Optimum“

Zwei Mütter ziehen Resümee über das erste Schuljahr der Sophie-Scholl-Schule Hanau

Die Kinder von Angelika Jungmann und Mirjam Winkler besuchen die Sophie-Scholl-Schule Hanau, die im Sommer 2013 als inklusive Ganztagsschule vom BWMK (Behinderten-Werk Main-Kinzig e.V.) eröffnet worden ist. Amy Winkler und ihre eineinhalb Jahre jüngere Schwester Ginny fühlen sich dort sehr wohl, ebenso Jan Jungmann, der das Down-Syndrom hat. In einem Interview vor eineinhalb Jahren äußerte Angelika Jungmann in Hinsicht auf die neue Schule den Wunsch, „dass Jan zu Beginn seiner Schulzeit da abgeholt wird, wo er wirklich steht. Es ist wichtig, dass er die Chance hat, seine Stärken weiter zu entwickeln.“ Mirjam Winkler sagte: „Ich bin große Befürworterin der Ganztagsschule: Die Kinder werden individuell gefördert und sie kommen nach Hause und müssen  keine Hausaufgaben mehr erledigen. So verlieren sie nicht gleich in den ersten Klassen den Spaß an der Schule.“ Ein Jahr nach Eröffnung der Sophie-Scholl-Schule und zu Beginn des zweiten Schuljahres waren die beiden Mütter wieder bereit zu einem Interview und ziehen Resümee.

 

Fühlen sich in der Sophie-Scholl-Schule sehr wohl: (von links) Angelika Jungmann und ihr Sohn Jan sowie Mirjam Winkler und ihre Töchter Ginny und  Amy.Frage: Wie haben Sie das erste Schuljahr erlebt?

Angelika Jungmann: Total spannend war es von Anfang an. Mein Mann und ich haben uns gefragt: Wie schafft Jan das? Wie funktioniert alles? Wird es auch so werden, wie wir uns das vorgestellt hat? Die Hauptsache ist, dass Jan die Schule Spaß macht, er sich hier wohl fühlt und seine sozialen Kontakte pflegen kann. Und Spaß am Lernen hat er nach wie vor. Er war schon immer wie jedes andere Schulkind bestrebt, lesen, schreiben und rechnen zu lernen und er sieht die Schule als den Ort an, wo er das lernen kann. Für uns ist diese Schule das Optimum.

Mirjam Winkler: Ich bin ganz offen an die Schule herangegangen. Das Konzept fand ich von Anfang an klasse und es war sehr spannend, zu sehen, wie sich alles entwickelt hat. Amy hat Spaß am Lernen, sie ist wissbegierig und ehrgeizig. Es ist schön zu sehen, wie jedes Kind hier einzeln gefördert und angenommen wird. Das enge Beisammensein im Unterricht und auch nachmittags, da sie die anderen Kinder aus dem Unterricht kennen und diese Kontakte weiter pflegen können, ist für sie eine ganz tolle Erfahrung.

 

Frage: Welche Entwicklung haben Sie bei Ihren Kindern im ersten Schuljahr beobachtet?

Mirjam Winkler: Ich beobachte diese Entwicklung bei Ginny zum zweiten Mal und bin wieder erstaunt, in welch‘ kurzer Zeit die Kinder einen Schub machen – von diesem fast noch Kleinkind aus dem Kindergarten zu diesem mädchenhaften Schulkind. Die Ältere, Amy, ist wahnsinnig tough geworden und kann mich an die Wand diskutieren. Auch Ginny ist innerhalb kurzer Zeit wortgewaltig geworden und kann sich sehr gut ausdrücken, was sie empfindet, was sie sieht, was sie wahrnimmt. Es ist schön zu sehen, dass das gefördert wird. 

Angelika Jungmann: Bei Jan habe ich mit Stolz und Freude festgestellt, dass er sich ganz schnell in dem neuen Umfeld Schule orientiert hat dank der für ihn sehr klaren Strukturen und Tagesabläufen. Er hat hin und wieder Schwierigkeiten, wenn neue Situationen auf ihn zukommen, in denen er nicht genau einschätzen kann, wie er damit umgehen soll. Aber hier weiß er wie es im Klassenraum zugeht, wie miteinander umgegangen wird, wie gelernt wird und wo sein Platz in der Klasse ist. Das freut mich sehr. Er profitiert unwahrscheinlich davon, sich von den anderen Schülern Dinge abzuschauen, ein ganzes Lehrerteam um sich zu haben und vor allem von dem Ganztagesangebot. Er hat hier nachmittags die gleichen Strukturen wie am Vormittag und dieselben Freunde. Er fühlt sich wohl und baut das in seinen Erfahrungs- und Lernschatz mit ein.

 

Frage: Wie war der Beginn des neuen Schuljahres? Wie haben Sie das miterlebt?

Angelika Jungmann: Der Schuljahresbeginn vergangenes Jahr war für mich etwas ganz Besonderes. Klar, das eigene Kind ist eingeschult worden, aber auch die Schule ist an den Start gegangen. Mir ist ein riesiger Stein vom Herzen gefallen, weil die viele Arbeit im Vorfeld Früchte getragen hat und alles zeitlich hingehauen hat – es war unser Wunschtraum, dass die Schule eröffnet wird. Der Schulbeginn war vergangenes Jahr etwas ruhiger, weil es weniger Schüler waren, was ich für Jan sehr angenehm fand.

Mirjam Winkler: Für mich war der Schulbeginn nach den Sommerferien erneut spannend, da dieses Jahr meine jüngere Tochter eingeschult worden ist. Spannend ist es auch zu sehen, wie sich die Schule weiterentwickelt. Für Amy gehen die Gedanken mittlerweile schon so weit, dass ich mich frage, was für sie nach dieser Schule kommt. Die Zeit rennt so schnell und ich hoffe, dass es eine weiterführende Schule ähnlich der Sophie-Scholl-Schule für sie geben wird, weil sie eine wahnsinnig schöne Chance für die Kinder ist – dafür sich selbst zu finden, sich zu gestalten und zu sein wie sie sind.

 

Frage: Was gefällt Ihnen besonders gut am Konzept der Sophie-Scholl-Schule?

Angelika Jungmann: Es ist toll, dass die Kinder hier die Chance haben, sich selbst besser kennen zu lernen mit allen Stärken und kleinen Macken und das als normal zu betrachten. Hier müssen sie nicht ständig anderen nacheifern, weil beispielsweise ein anderer Schüler besser in Mathe ist. Hier sehen sie, dass sie beispielsweise in Deutsch besser sind.  Die Kinder nehmen die Vielfalt - gerade auch jetzt in den jahrgangsgemischten Klassen - viel besser wahr.

Mirjam Winkler: Die Kinder können hier ihre Stärken zeigen, aber auch ihre Schwächen, ohne unter Druck zu geraden. Das macht sehr viel aus.

 

Frage: Welche Unterschiede sehen Sie zu Regelgrundschulen?

Angelika Jungmann: Dort gibt es zwei Wochen Eingewöhnungszeit und dann geht es richtig los. Ich bekomme das in dem Hort mit, wo ich nachmittags arbeite. Die Erstklässler müssen da schon seitenweise Hausaufgaben erledigen. Das ist hart. Dabei sollten sie mit Spaß in die Schule gehen.

Mirjam Winkler: Der Druck an den Regelgrundschulen ist heutzutage sehr groß. Ich bekomme das im Freundeskreis mit. Die Lernzeit hier in der Sophie-Scholl-Schule nimmt diesen Druck für die Kinder heraus, aber auch für die Eltern.

Angelika Jungmann: Auch die Tatsache, dass es hier keine Noten, sondern umfassende Beurteilungen für die Schüler gibt, nimmt den Druck für die Kinder weg. Sie sind nicht mehr versucht, sich ständig anhand der Noten zu vergleichen. Was ich absolut klasse finde, ist, dass jede Klasse von einem Lehrerteam betreut wird, das zusammen mit den Kindern arbeitet, das sich austauscht und so das Bild von einem Kind rund machen. Denn jeder nimmt etwas anderes an ihm war, was ein Einzelkämpfer, der allein vor einer Klasse steht, gar nicht leisten kann.

 

Frage: Welche Chancen bietet die Ganztagsbetreuung Ihnen und Ihrer Familie in der Gestaltung des Alltags?

Mirjam Winkler: Es hilft mir in meinem Alltag sehr, da ich berufstätig bin. Wenn ein Projekt unbedingt fertig werden muss, kann ich in der Schule anrufen und sagen, dass ich die Mädchen später als angemeldet abhole. Und trotzdem habe ich ein gutes Gefühl dabei, weil ich weiß, dass sie hier gut aufgehoben sind. Und abends bleibt dann intensiv Zeit für die Familie.

Angelika Jungmann: Jan hat hier alle seine sozialen Kontakte. Bis ich ihn nach der Arbeit abhole und wir zu Hause sind, sind dort Kontakt zu anderen Spielkameraden rein aus Zeitgründen nicht mehr möglich. Von daher genießt er das Umfeld hier entsprechend. Für uns wäre es gar nicht machbar, Jan diese vielfältigen Möglichkeiten zu bieten, da wir beide berufstätig sind. Die Schule ist sein Arbeitstag und ein Großteil seines Lebens. Der Tag ist ausgelastet und hat alle Bereiche, das Lernen, das Spielen und das Sich-Auspowern, so dass Jan abends das Gefühl hat, ich habe alles gemacht, was mir Spaß macht.

 

Frage: Ist das manchmal ein komisches Gefühl, dass Sie sich nicht um die Hausaufgaben Ihrer Kinder kümmern müssen?

Mirjam Winkler: Ja und nein. Es ist ein erleichterndes Gefühl, aber man hat nicht immer ganz genau den Überblick, was die Kinder in der Schule tun. Amy erzählt mir bis ins kleinste Detail, was sie in der Schule erlebt hat. Ginny ist da anders. Bei ihr werde ich immer mal nachfragen oder ein Gespräch mit den Lehrern anregen müssen. Aber das ist kein Problem, weil alle jederzeit bereit sind, Auskunft zu geben.

Angelika Jungmann: Man muss Vertrauen haben, dass eventueller Nachholbedarf des Kindes angesprochen wird. Dafür gibt es auch die Lernzeit nach dem Mittagessen, wo die Kinder noch mal eine Stunde alles wiederholen können mit Hilfe der Lehrer. 

 

Frage: Wie fühlen Sie sich als Eltern hier aufgehoben?

Angelika Jungmann: Ich fühle mich hier sehr wohl. Ich habe das Gefühl, man kann sich an jeden Mitarbeiter der Schule wenden und bekommt immer Auskunft. Außerdem gibt es ein Mitteilungsheft, über das sich Eltern und Lehrer austauschen. Man wird als Eltern so wahrgenommen, als ob man hier mit zur Schule gehen würde. Die Gespräche hier sind intensiver und nicht so defizitbezogen.

Mirjam Winkler: Ich habe auch das Gefühl, dass hier jeder meine Töchter gut kennt und etwas über sie sagen kann. Es wird hier Hand in Hand gearbeitet.